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Schreibroutine für den Alltag

 

Immer um Mitternacht mit frischen Himbeeren am Goethe-Denkmal? -

 

Schreibroutine für den Alltag

 

 

Zeit zum Schreiben

 

Deine zwölfjährige Tochter will Vokabeln lernen, beim Zahnarzt hast du einen Termin, deine Freundin erinnert dich an die Kinoverabredung um acht... und der Gedanke „Hey, das sollte ich öfter machen“, der dir beim Schreiben gerade gekommen ist, ist schon wieder beiseite gewischt.

Willst du nicht dein Geld mit dem Schreiben verdienen, fragst du dich vermutlich früher oder später, wie du dein Hobby am besten in den Alltag integrieren kannst.

Theoretisch kannst du es beinahe jederzeit und überall machen. Na, nicht unbedingt mitten im Kuss oder im Gespräch mit deinem Bankberater – aber ein paar freie Minuten, ein Blatt, ein Stift oder auch das Handy in den Fingern – los geht's.

Aber gerade, weil es nicht an jedem Mittwochabend um sieben geschehen muss, lässt sich Schreiben ständig fortschieben oder vergessen.

 

Gern wird deshalb geraten, eine feste Schreibroutine einzurichten: einen Zeitraum, den du reservierst, einen Ort, den du eigens dafür ausgesucht hast.

Ob das etwas für dich ist, hängt davon ab, ob dir eine solche Routine grundsätzlich hilft. Planst du gerne feste Zeiten ein, solltest du das auch für das Schreiben tun. Es wird sonst in deinem Unterbewusstsein schon unter „unbedeutend“ gespeichert und geht sang- und klanglos unter.

 

Mir persönlich hilft der Tipp weniger. Ich schreibe am besten entweder aus Begeisterung oder aus emotionaler Not – andernfalls werden meine Texte so schal, wie sich das Schreiben dann für mich anfühlt. Auch ich habe allerdings meine Schreibgewohnheiten (morgens zwischen 8 und 9.30 und nachmittags zwischen 15.30 und 17.30 sind meine besten Zeiten). Die haben sich aber organisch entwickelt und ich halte mich nicht daran, als seien es Regeln.

Was für dich grundsätzlich gut funktioniert (wie deinen Alltag strikt organisieren, intuitiv aus der Situation heraus handeln, Dinge in Stille für dich tun, unter anderen Menschen sein) wird dir aller Wahrscheinlichkeit nach auch beim Schreiben helfen. Wenn du unter Zwang nur unproduktiven inneren Druck erreichst - dann zwing dich nicht. Manche Menschen aber sind, wenn sie sich einen strikten Rahmen geben, konzentrierter und aufmerksamer. Einigen fällt es sogar unter äußerem Druck leichter, den inneren Zensor abzuschalten!

 

Bist du dir nicht sicher, was für ein Typ du bist, dann probier ruhig mal einige Wochen aus, ob dir eine feste Routine hilft. Manchmal muss man sich in so etwas ja eingrooven.

Viele Schreiber schwören übrigens auf die frühen Morgenstunden, noch vor dem Duschen, vor dem Zähneputzen. Tatsache ist, dass wir morgens konzentrierter sind; abends dagegen sind wir eher gewillt, uns von Gefühlen leiten zu lassen.

 

 

Schreiben wie Sport?

 

Schreiben ist nicht unbedingt wie Sport. Sich dazu überwinden zu müssen, um dann zu entdecken, dass es sich doch gut anfühlt, kann funktionieren – aber das tut es eben nicht für jeden. Schreiben erfordert auch eine Grundbereitschaft, sich zu öffnen und etwas von sich herzugeben. Es gibt hier nur Möglichkeiten auszuprobieren, nicht das ultimative Rezept für jeden.

 

Für alle, die nicht viel Zeit haben, die sie dem Schreiben widmen können (oder wollen):

8 Minuten pro Tag sind immer eine gute Spanne, die sich als Schreibzeit in den Alltag integrieren lässt und in der sich erstaunlich viel Sinnvolles zu Papier bringen lässt...

 

 

Trigger

 

Für manche von uns funktionieren Trigger wunderbar: der Geruch von frischen Zitronen, Annie Lennox' A Whiter Shade of Pale, der Stuhl ganz links am Esstisch... Ein Trigger, also ein Auslöser, führt in dir sofort zu einem Gefühl. Ich bin da sehr simpel: Ich will spätestens schreiben, wenn ich Kaffee rieche – gleich wo. Wenn du meinst, dass dir das Lust aufs Schreiben machen könnte, kannst du einmal ausprobieren, dir zwei oder drei Wochen lang immer einen „sinnlichen“ Begleiter beim Schreiben zur Seite zu stellen - ein Duftteelicht zum Beispiel oder ein Foto. Vielleicht schreibst du auch immer an exakt demselben Ort, und zwar einem, an dem du normalerweise nicht arbeitest. Vielleicht hast du einen kleinen Talisman bei dir.

 

Aber zwing dich nicht dazu, wenn du schon weißt, dass das nichts für dich ist. Finde stattdessen lieber heraus, worüber und warum du schreiben willst.

Schreiben soll dein Hobby und deine Leidenschaft sein, richtig? Entdecke, wie du diese Leidenschaft weiter schüren kannst. Die Disziplin kannst du dir aufheben fürs Putzen, für Versicherungsformulare und eventuell das Rückentraining.

 

 

Räum deinen Schreibtisch - oder Esstisch - auf!

 

Jetzt aber mal Schluss mit dem "Du kannst es machen, wie du es für richtig hältst" - Räum deinen Schreibort auf! Eine Tasse Tee, ein Foto, das nötigste Schreibmaterial - das muss reichen. Ganz ehrlich. Wirkt Wunder.

(Sagt meine Erfahrung, aber auch die Forschung.)

 

 

Analog oder digital?

 

Wenn es um Notizen, kleine Texte und Gedanken geht, schreib lieber mit der Hand – sofern du davon nicht so gereizt bist, dass du schon keine Lust mehr aufs Schreiben hast. Hab stets ein kleines, leichtes Notizbuch (lieber dünn als wirklich klein) und einen schlichten, immer funktionierenden Stift dabei. Mit der Hand zu schreiben fördert das assoziative Denken und bringt Erinnerungen besser hervor. Wir sind weniger distanziert und trauen uns, ehrlicher zu sein.

 

Kleiner Alltagstipp, den ich selbst öfter beherzigen sollte: Überlege dir, ob du gerade leserlich schreiben willst oder nicht. Geht es dir darum, Gefühle loszuwerden? Vergiss alle Rechtschreibung und Schönschrift. Willst du mit dem Schreiben Struktur in deine Gedanken bringen oder ihn später bearbeiten? Gib dir etwas Mühe mit der Form...

Willst du allerdings längere Texte herunterschreiben, musst du schon eine gut trainierte Hand haben. Schreibe ich Passagen von vielen Seiten, bin ich sehr dankbar über die technischen Möglichkeiten unserer Zeit. Ich fahre deshalb oft zweigleisig: Ideen und einzelne Gedanken notiere ich mit Stift, längeren Fließtext und Dialoge am Laptop.

 

 

Kleine Tipps fürs Notieren, Tagebuchschreiben und Journaling

  • Schreib das auf, was dir wirklich wichtig ist, was dich gerade beschäftigt oder was du gerade wahrgenommen hast. Stürz dich auf das, was dir aufgefallen ist – ob das ein Artikel über die nächste Landtagswahl ist, ein gerade noch abgewendeter Streit mit deinem Bruder oder die Art, wie deine Nachbarin läuft.

In einem zweiten Schritt kannst du dir überlegen, was genau dich daran interessiert, fasziniert – kein warum, sondern ein „worüber will ich da mehr wissen?“

  • Nur wenn du Lust dazu hast: Konzentrier dich bewusst. Schärfe deine Wahrnehmung für bestimmte Details oder öffne dich für einen weiteren Blick. Sammle gezielt Beobachtungen und versuche, den Dingen genauer auf den Grund zu gehen.
  • Überforder dich nicht mit einem „ich sollte! auf die und die Art schreiben“. Es müssen nicht immer vollständige Sätze sein. Wenn du mit einer Liste begonnen hast, kann diese trotzdem in einem Fließtext enden. Ordne lieber im Nachhinein, falls du das Bedürfnis hast.

 

 Und wenn du dann Lust und Zeit hast, sind hier ein paar einfache Regeln, um Texte zu vertiefen:

  • Ersetze bewertende Adjektive (schön, blöd, großartig, nett, scheußlich) durch ursprüngliche Sinneseindrücke (zerfetzter Karostoff, blaues Haus mit Sprossenfenstern, Gesicht mit Muttermal am Kinn)

  • Suche bewusst Assoziationsketten: Woran erinnert mich das? Wo habe ich das gleiche Gefühl, denselben Gedanken schon einmal gehabt?

  • In handschriftliche Notizen kannst du grafische Elemente einfügen: kleine Zeichnungen, Unterstreichungen. Sieh das nicht als Schmiererei an und fürchte dich nicht davor, Dinge durchzustreichen oder nachträglich hinzuzufügen. Wenn du einmal ein Originalmanuskript von Tolstoi oder Kafka gesehen hast, wirst du vermutlich keine Hemmungen mehr haben. Hast du ein großes Bedürfnis nach Ordnung, leg im Zweifel zwei Notizbücher / Journale an: Eines für das schnellere, unzensierte Aufschreiben, eines für die geordneten, komprimierten Abschriften.

 

Viele Menschen fragen, wie sie am besten schreiben. Mein Rat: Schreib einfach. Und lies! Mit Genuss, worauf du Lust hast. Geh in Buchhandlungen, blätter, stöber in echten Büchern, berühr die oft wundervoll gestalteten Umschläge, lies Klappentexte, lies in die Bücher hinein... Schreiben fragt in erster Linie nicht nach richtig oder falsch, sondern nach dir.

 

 

Resonanz

 

Falls das Schreiben für dich unbefriedigend bleibt, ist eventuell nicht das Schreiben selbst das Problem. Vielleicht fehlen dir auch Austausch und Feedback. Such dir dann Resonanzkörper – neue oder alte Freunde, die gerne lesen und schreiben, Internetforen oder, natürlich, Schreibkurse oder -workshops. Das Schreiben kann eine einsame Sache ganz für mich sein - muss es aber nicht.